Die 1984 in München geborene Theresa Hannig gehört zu einer seltenen
Sorte von Menschen: Sie ist Optimistin, genauer gesagt „Berufsoptimistin“. Das
bedeutet, dass das Lesen ihrer Bücher, Geschichten, Essays und sonstigen Texte
– ganz entgegen allem sonst Gewohnten – gute Laune macht. Nun hat Hannig
bereits mehrere Romane geschrieben und dafür auch Preise bekommen, war in
einigen Anthologien mit Beiträgen vertreten und ist seit einigen Jahren als
fleißige Kolumnistin für die TAZ tätig. In ihren Artikeln tauchte im Herbst
2023 ein freundlicher Zeitreisender mit Namen Felix auf, der aus der Zukunft
gekommen war, um Hannig zu helfen. Denn, wie sie es auch selbst formuliert,
„Berufsoptimistin sein ist ein harter Job“. Wie gut ihr die Unterstützung durch
Felix getan hat, können wir nun in dem handlichen Büchlein „ÜBERMORGEN – Geschichten aus einer
besseren Zukunft“ (Hirnkost, ISBN 978-3-9885717-141-0, 127 S., Hardcover) alle
selbst nachlesen. Die Form der mehr als 30 Texte wechselt stetig (und so auch
gewollt) zwischen Erzählung und Essay. Zumeist wird ein politisches oder
kulturelles oder gesellschaftliches Ereignis als „Aufhänger“ benutzt, um das
Gespräch zwischen Felix und Theresa in Gang zu bringen. Darin präsentiert
zumeist die engagiert-echauffierte Autorin ihre Sicht – nur um sich dann von
Felix beruhigen zu lassen, dass nicht alles so wichtig ist, wie es scheint,
dass sich Dinge auch zum Besseren wenden können und dass Gelassenheit und
Optimismus hilfreicher dabei sind, eine Lösung zu finden, als Panik und
Kopf-in-den-Sand-stecken. Uns allen wird es gut tun, dieses Buch zu lesen (notfalls
auch mehrmals, einige Ideen sind schon sehr herausfordernd) und daraus
ebenfalls Kraft, Ruhe und Optimismus zu schöpfen. Allerdings bedeutet das
nicht, dass dann alles von alleine besser wird – Achtsamkeit, Engagement (und
manchmal auch ein klein wenig Wut) sind weiterhin nötig. Mitmachen und sich
einbringen sind Tugenden, die wir pflegen müssen, dann klappt das auch mit der
„besseren Zukunft“ besser.
Der US-Amerikaner Robert
Jackson Bennett gehört seit einigen Jahren zu den Autoren, deren Werke
einem auf Grund ihrer Qualität immer wieder begegnen, sei es im Bücherregal
oder bei Meldungen über verliehene Preise. Bennett ist ein Tausendsassa, der
gerne mit allen phantastischen Genres spielt. Seit Neuestem schreibt er auch
noch Krimis, die zwar dem klassischen „Wer ist der Mörder?“-Plot folgen, aber
in bemerkenswerten Umgebungen angesiedelt und mit einem Personal bestückt sind,
für die das Wort „exzentrisch“ eine absolute Untertreibung wäre. Zugleich ist
Bennett aber auch ein Besessener, der auf jedes Detail achtet, das Timing
beherrscht und erst zufrieden ist, wenn auch ein Sherlock Holmes unter seiner
Leserschaft bis zum letzten Kapitel den Hinweisen folgen und Zeile für Zeile
lesen muss. Und so ist sein Roman THE TAINTED CUP (Adrian, ISBN 978-3-98585298-7,
416 S.), der leider keinen deutschen Titel besitzt, nicht nur ein spannender
Thriller und eine staunenswerte Urban Fantasy-Geschichte, sondern vor allem ein
großer Lese-Spaß, der schon bei der Buchgestaltung beginnt (der Einband sieht
aus, als hätte die Raupe aus ALICE IM WUNDERLAND sehr starken Tobak geraucht)
und auch nach der Lösung des Falles noch nicht zu Ende ist, denn Bennett sprüht
selbst in der angehängten Danksagung noch voller Be-Geist-erung. Die Übersetzer*innen
Jakob & Karla Schmidt waren hier
sicherlich stark gefordert, hatten jedoch wohl ihren Spaß, denn das Buch liest
sich flüssig und ohne Stolpersteine. Empfehlenswert.
Am Samstag bekam ich die monumentale Ausgabe von Arno Schmidts TAGEBÜCHER DER JAHRE 1957–1962 (Suhrkamp, ISBN
978-3-518-80460-5, 777 S.). Natürlich habe ich zuerst den 8.3.58 nachgeschaut (Eitelkeit
pur). Das Buch wird mir noch sehr viel Freude bereiten!
AD 1999: Auf dem Planeten Erde
erscheint mit DIE 13 ½ LEBEN DES KÄPT’N BLAUBÄR das erste Buch von Walter Moers, das auf dem bisher unentdeckten
Kontinent Zamonien spielt. AD 2025: Das Dutzend ist voll – mit QWERT (Penguin,
ISBN 978-3-328-60427-3, 582 S., Hardcover / auch als Hörbuch erhältlich) legt
Moers sein zwölftes Zamonien-Buch vor, gleichzeitig das erste, das auf der
Parallelwelt Orméa angesiedelt ist. Und dort folgen wir den Abenteuern des
legendären Prinz Kaltbluth, der gar nicht Prinz Kaltbluth ist, sondern nur so
aussieht, weil in ihm der Gallertprinz Qwert Zuiopü steckt, der aus der 2364.
Dimension stammt, dann aber in ein Dimensionsloch gefallen ist und nun auf
recht unsanfte Weise in Prinz Kaltbluths Körper stürzt. Was ihm auf Orméa dann
alles widerfährt, schildert der Roman in 43 Aventiuren, die
sprachlich-stilistisch ein wenig an den historischen Ritterepen des Spätmittelalters
angelehnt, jedoch auch gleichermaßen dem DON QUICHOTTE des Miguel de Cervantes und dem Kofferwort-Erfinder Lewis Carroll (und dessen ALICE IM
WUNDERLAND & SPIEGELLAND) zu Dank verpflichtet sind. Da die Inhaltsangabe
eines Moers-Buches normalerweise mehr Raum einnimmt als das jeweilige Buch,
unterlassen wir weitere Verzögerungstaktiken – also flott ans Werk, das Buch
gepackt und aufgeschlagen (oder das Hörbuch gestartet) – und rein ins pure
Vergnügen. Oder wie es auf Orméa so treffend heißt: Flamingo!
Als 1978 THE STAND von Stephen King erschien, war der
umfangreiche Romantext um mehr als ein Drittel gekürzt. Inzwischen erschienen
ungekürzte und sogar erweiterte Fassungen, die aktuelle deutsche Ausgabe von
DAS LETZTE GEFECHT hat mehr als 1700 Seiten. Zu den Menschen, für die THE STAND
das Buch ihres Lebens ist, gehören u. a. Christopher
Golden und Brian Keene. Sie
entwickelten die Idee einer Anthologie mit Geschichten, die im von King
erfundenen Kosmos von THE STAND angesiedelt sein sollten. Nach einigem Zögern
gab der Meister, wie er in seiner „Einleitung“ jetzt schreibt, dann sein Okay.
Herausgekommen ist DAS ENDE DER WELT WIE WIR SIE KENNEN (Buchheim, ISBN
978-3-946330-47-9, 926 S.), eine Anthologie mit 34 nagelneuen Stories von 36
Autor*innen. Es wäre müßig diese jetzt aufzuzählen oder einzelne Geschichten
hervorzuheben, das ergibt sich bei der Lektüre von selbst – je nach
persönlichen Vorlieben und Befindlichkeiten. Um die Stimmenvielfalt zu erhalten
beschäftigte Buchheim gleich fünf Übersetzer, das Buch ist fadengeheftet und
hat ein Lesebändchen und der Preis ist Okay. Wer THE STAND – DAS LETZTE
GEFECHT noch nicht kennt, sollte sich erst einmal Kings Roman vornehmen, wer
das Buch für gelungen hält, dürfte mit den in DAS ENDE DER WELT WIE WIR SIE
KENNEN versammelten Geschichten in den nächsten Wochen viel Spaß haben.
In der Reihe „Wiederentdeckte Schätze der Science Fiction“ im
Hirnkost Verlag erschien vor kurzem als Band 9 der „prognostische Roman“ DAS
AUTOMATENZEITALTER (ISBN 978-3-988570-78-9) von Ri Tokko, einem Pseudonym des aus Nürnberg stammenden Ingenieurs
Ludwig Dexheimer (1891–1966). Der mit 662 Seiten sehr umfangreiche Text gehört
zu den originellsten Zukunftsentwürfen der 1920er Jahre (auch wenn er dann erst
1930 erscheinen konnte), denn der Autor entwirft eine hochtechnisierte und
gleichzeitig politisch weiter entwickelte Zukunftsgesellschaft, die u. a. auf
Solarenergie und Recycling setzt, KI-gesteuerte Androiden und das Internet
verwendet und in der die Gleichberechtigung der Geschlechter erfolgreich
durchgesetzt ist. Ein Buch voller herrlicher Ideen!
[Samstag, 8.
März 1958] „8:00 -1 kalt und trübe; aber mit einzelnen sehr scharfen Sonnenschüssen
/ 13:20 +2½ / 16:10 +2 / Ich arbeite Bücher durch. Lilli summt. / P.:
Bayrischer Rundfunk will Beitrag; Pfarrer Marti=Schweiz / ich [trinke] und
schreibe ›Kannitverstan‹, - Lilli summt. / Durchsehen, 2 Halbjahrgänge Zach /
Lilli badet. O / P: Finanzamt. u. Wohnung Holte: zu klein! / Bläschke: 2h lang.
Über Bense geschimpft. / Ich bade O.“
Arno
Schmidt – TAGEBÜCHER DER JAHRE 1957–1962 (S. 143)