TEMPORAMORES - Newsletter # 388 - 30.03.2024




KURZMELDUNGEN

Puh! Der Frühjahrsausstoß der Verlage hat begonnen und dermaßen viele „Blüten“ auf meinem Schreibtisch hinterlassen, dass der Newsletter diesmal wohl mehr einer Auflistung als einer in aller Ruhe erstellten Lektürereflektion gleichen wird.

Beginnen wir mit Memoranda: Spitzentitel ist diesmal die von Sylvana Freyberg, Alexandra Dickmann & Jeawon Nielbock-Yoon herausgegebene Anthologie DIE STERNE LEUCHTEN AM ERDENHIMMEL, in der sieben Science-Fiction-Kurzgeschichten aus Südkorea erstmals auf Deutsch erscheinen. Ebenfalls Kurzgeschichten (9 Stück und alle Erstveröffentlichungen) enthält der Sammelband OKTOBERREVOLUTION 1967 des russischen Schriftstellers Kir Bulytschow (1934–2003), den Ivo Gloss zusammengestellt und kommentiert hat. Und weil die gemeinsame Werkausgabe von Erik Simon und Angela & Karlheinz Steinmüller noch nicht unübersichtlich genug ist, bekommt das Projekt nun auch noch „Extrabände“, deren erster den Titel ESKAPADEN trägt und nicht nur mehrere Dutzend „Phantasien und Fiktionen“ enthält, sondern auch noch Anmerkungen, eine Publikationsgeschichte, die man vor dem Inhaltsverzeichnis lesen sollte, und eine Seite mit „Stimmen zu ESKAPADEN“, die jede weitere Kritik unnötig macht. Ein gelungenes Frühjahrsprogramm.

Bei Hirnkost geht es ebenfalls weiter: In der Reihe der „Wiederentdeckten Schätze der Science Fiction“ ist mit Band 6, DAS MENSCHENSCHLACHTHAUS von Wilhelm Lamszus, einer der eindringlichsten Anti-Kriegs-Zukunftsromane des deutschen Kaiserreichs erschienen. Mit STRANDGUT, herausgegeben von Marianne Labisch, veröffentlicht der Verlag erneut eine seiner hochklassigen Original-Anthologien. Dass es nicht nur im Hier und Heute Flüchtlinge gibt, sondern überall im Universum und zu allen Zeiten, ist das Kernthema der Sammlung. Erzählt wird dies von 20 Autor*innen in ihren phantastischen Kurzgeschichten, bebildert wie gewohnt von Mario Franke und Uli Bendick, und Michael K. Iwoleit gibt kenntnisreiche Erläuterungen dazu.

Zu den raren Science-Fiction-Titeln der Hobbit Presse von Klett-Cotta ist mit NICHTS NEUES VON GURB jetzt ein sehr unterhaltsames Büchlein hinzugekommen. Der Titel von Eduardo Mendoza erschien in Spanien bereits 1990, ist aber immer noch „frisch“. Und im Tropen Verlag (Klett-Cotta) erschien mit nur 4 Jahren Verspätung der neue Roman von Jonathan Lethem, der den Titel DER STILLSTAND trägt und von einem gemütlichen Landleben erzählt, nachdem alle elektronischen Geräte und Maschinen ausgefallen sind.

Bei Atlantis kam jetzt mit leichter Verspätung die Ausgabe 8 der „phantastischen Comic-Anthologie“ COZMIC heraus. Die gezeichneten Stories sind u. a. von Michael Vogt, Jan Hoffmann, Simon Lejeune, Ingo Lohse und Detlef Klewer. Von Thorsten Hanisch stammt der Essay über „Battle Angel Alita“. Und das Cover von Ausgabe 9 gibt’s als Appetizer dazu.

Ebenfalls eine Comic-Anthologie ist das von Lilian Pithan herausgegebene und bei Carlsen erschienene Hardcover THE FUTURE IS … Insgesamt 14 deutschsprachige Comic-Zeichnerinnen erzählen hier „14 Comics über die Zukunft“ und zeigen dabei eine unglaubliche Bandbreite der Ausgestaltung. So wird zumindest die Zukunft des Comics hierzulande aussehen!

Eine Zusammenarbeit von Jeff Lemire, Matt Kindt (Text) und David Rubin (Bilder) ist die bei Skinless Crow erschienene limitierte Graphic Novel COSMIC DETECTIVE. Die Story erinnert ein wenig an Frank Millers HARD BOILED und die kosmischen Gottheiten Jack Kirbys, der Zeichenstil allerdings ist unverkennbar David Rubin. Das Ergebnis ist ein hochdynamisches Drama, dessen Ende ebenso düster wie offen ist …

Ganz fünf Jahre ist es inzwischen her, dass mit DAS EWIGKEITSPROJEKT der Erstlings­roman der Österreicherin Carolin Hofstätter erschien. Leider entwickelte sich daraus nicht die erwartete große Karriere, aber aufgegeben hat Hofstätter das Schreiben auch nicht. Im Jahr 2023 veröffentlichte sie dann die Roman-Duologie FINDUNGSTAG und DER ALLERLETZTE TAG, worin sie uns von den Abenteuern ihrer Heldin Evergreen Ray berichtet, die am Ende des 21. Jahrhunderts in einem utopischen Wien lebt und davon träumt, Musikerin zu werden. Allerdings erfährt sie an ihrem „Findungstag“, dass die „Empfehlungen“ der KIs dahin gehen, dass sie mit dem nächsten Siedlerschiff zum Mars fliegt. Und kein Mensch zweifelt an einer KI-Empfehlung! Auf den gut 650 Seiten der beiden Romane beweist Hofstätter, dass ihr die Pause gut getan hat. Die Geschichte ist stimmig, gut durchdacht, mit tollen Figuren besetzt und spannend bis zur letzten Seite, auf der sich dann auch zeigt, dass sie den „Dreh“ beherrscht, ein ebenso überraschendes wie zufriedenstellendes Ende zu schreiben. Großes Kino aus Österreich! (Leider nicht über den normalen Buchhandel beziehbar.)

Umso leichter erhältlich ist dafür DIE PARABEL DER TALENTE von Octavia E. Butler, das soeben bei Heyne erschienen ist. Es handelt sich dabei um die deutsche Erstveröffentlichung des zweiten „Earthseed“-Bandes, also um die seit Jahrzehnten erwartete Fortsetzung von DIE PARABEL VOM SÄMANN (Neuausgabe 2023, Heyne), in der Butler ihrer Zukunftsgeschichte einen versöhnlichen, wenngleich melancholischen Abschluss verpasst. Noch ein Zweiteiler, den niemand verpassen sollte.

Ebenfalls rechtzeitig zu Buchmesse und Ostern erschienen drei neue Bücher im Carcosa Verlag: Das Glanzstück ist sicherlich der erste Band der Werke von Joanna Russ, der den Titel IN FERNEN GEFILDEN trägt und der neben den kompletten „Alyx“-Geschichten zwei wichtige Essays und eine Reihe von Buchbesprechungen der amerikanischen Autorin enthält. Ergänzend dazu führt ein Nachwort der Herausgeberin Jeanne Cortiel in Russ’ Leben und Werk ein. Die Reihe der Bücher von Samuel R. Delany wird mit dem Kurzroman DAS EINSTEIN-VERMÄCHTNIS fortgesetzt, der von Jakob Schmidt neu übersetzt wurde. Und in dem Sammel­band SCHWELENDE REBELLION erzählt uns Leigh Brackett drei Abenteuer, die ihren Pulp-Charakter Eric John Stark zum Helden haben. Die Stories erschienen erstmals zwischen 1949 und 1951 und wurden von Helmut W. Pesch ins Deutsche übersetzt und kommentiert.



VERANSTALTUNGSHINWEIS

Seit dem 8. März – und noch bis zum 31. Juli 2024 – läuft im Schulmuseum in Lohr-Sendelbach eine Sonderausstellung zum Thema „Bildergeschichten im Laufe der Jahrzehnte“. Die sehenswerte Ausstellung wurde von Mitgliedern des Comic-Stammtisches Würzburg-Kist konzipiert und bestückt. Da es unmöglich ist, für das Comic-Genre eine Gesamtschau zu verwirklichen, versucht man hier, im vorgegebenen Rahmen, eine eher grundsätzliche Übersicht zu geben, über die Entwicklung der Comics in Deutschland zwischen 1890 und 1990. Die mannigfachen Beispiele reichen von Heften und Büchern über Poster und Figuren bis hin zu Werbematerialien diverser Lebensmittel- oder Bekleidungshersteller. Näheres unter Schulmuseum (lohr.de) .



ZITAT

„Dies ist die Geschichte einer Reise, die nur insofern von Interesse ist, als sie von den Taten einer kleinen, grauäugigen Frau handelt. Kleine Frauen gibt es zur Genüge – und solche mit grauen Augen auch –, aber diese Frau zählte zu den weisesten eines Geschlechts, das überdurchschnittlich weise ist. Das ist nicht weiter überraschend (oder sollte es jedenfalls nicht sein), denn es gehört zum Allgemeinwissen, dass die Frau eine ganze Viertelstunde vor dem Mann erschaffen wurde und sich diesen Vorteil bis heute bewahrt hat.“

 Joanna Russ in: IN FERNEN GEFILDEN (S.9)



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