TEMPORAMORES - Newsletter # 326 - 6.9.2020




KURZMELDUNGEN

Ein Konzept zu entwickeln und umzusetzen kann manchmal echt nerven – und dann wieder gibt es Tage, an denen klappt einfach alles. Einer dieser Tage war es wohl, als die EXODUS-Jungs beschlossen, ein Themenheft mit Geschichten und Bildern zum Planeten Mars anzugehen. Was dann über ihnen hereinbrach, war auch in der gar nicht so kurzen Geschichte dieses herausragenden Magazins für „Science Fiction Stories & phantastische Grafik“ einzigartig: Die Stories und Grafiken übertrafen in Anzahl und Qualität alles Erwartbare! Und so blieb den Herausgebern um René Moreau und Heinz Wipperfürth gar nichts anderes übrig, als eine „Doppelnummer“ zu veröffentlichen. Da man bei EXODUS immer auch darauf schaut, dass die Bilder in bestmöglicher Form präsentiert werden, erschienen also die Nummern 40 und 41 gleichzeitig in zwei Einzelheften (MARS, Teil 1 und 2, je 110 S.), jeweils mit umlaufendem Umschlagbild (von Dirk Berger bzw. Rainer Schorm, denen dann auch die jeweiligen „Galerie“-Beiträge gewidmet sind), eigenen Editorials, einer Handvoll Gedichten und zusammen mehr als zwanzig überwiegend illustrierten Kurzgeschichten. Mit dabei sind: Andreas Eschbach, Meike Schultchen, Angela & Karlheinz Steinmüller, Victor Boden, Norbert Stöbe, Thomas Franke, Hubert Schweizer, Horst Pukallus und – als einziger mit zwei Stories vertreten – Christian Endres. Ein kleines „Geheimnis“ (kein Wunder bei diesem rätselhaften Planeten) bleibt das Pseudonym Frank N. Schatz, unter dem ein „deutscher Thriller- und SF-Autor“ meine persönliche Lieblingsgeschichte „David and the Spiders“ abgeliefert hat. Bestellungen über www.exodusmagazin.de sind ab sofort möglich (und ein Blick auf die Backlist-Sonderangebote ist auch nicht verkehrt).

Im Grunde sehr ähnlich, im Detail jedoch grundverschieden, kommt die Ausgabe 29 von NOVA Science-Fiction (p.machinery, ISBN 978-3-95765-205-8, 220 S.), dem von Michael K. Iwoleit & Michael Haitel herausgegebenen Paperback-Magazin, auf den Markt. Auch hier gibt es Kurzgeschichten und Sachtexte, Illustrationen und ein Editorial. Allerdings steht bei NOVA eindeutig das geschriebene Wort im Mittelpunkt, die Illustrationen bleiben genau das – und der Sekundärteil (den Thomas Sieber betreut) nimmt inzwischen ein gutes Viertel des Platzes ein. Die aktuelle Nummer beschäftigt sich zum Beispiel schwerpunktmäßig mit der „Simulations-hypothese“ (WELT AM DRAHT, UBIK, MATRIX usw.), bringt Nachrufe auf Syd Mead und Mike Resnick, beginnt mit einem launigen Vorwort des Verlegers und punktet ansonsten mit elf Stories, unter anderem von Uwe Post, Frank Hebben und dem allgegenwärtigen Norbert Stöbe.

Und dann war ich mal für drei Tage in Berlin und entdeckte dort: QUEER*WELTEN, ein „vierteljährlich erscheinendes queerfeministisches Science-Fiction- und Fantasy-Zine“ im klassischen Heftchen Format (Ach je Verlag, 56 bis 64 Seiten), von dem bisher zwei Ausgaben erschienen sind (01-2020 und 02-2020). Herausgegeben wird das Magazin von Judith Vogt, Lena Richter und Kathrin Dodenhoeft, der Inhalt besteht aus Kurzgeschichten, Comics, Gedichten, einem Sachtext und einem „Queertalsbericht“, in dem derzeit vor allem Rezensionen zu lesen sind, da Pandemie-bedingt Veranstaltungen und ähnliches ja leider ausfallen. Auch wenn ich nicht wirklich die „Zielgruppe“ dieses engagierten Projekts bin, halte ich es doch für absolut notwendig und wünsche den QUEER*WELTEN viel Erfolg. Im Netz zu finden unter https://queerwelten.de/ und ab sofort auch im Abo erhältlich.

Und dann war ich mal kurz in meiner Lieblingsbuchhandlung und fand dort ein ganz tolles Jugendbuch von Thomas Harding (einem Engländer mit deutschen Wurzeln), das den Titel FUTURE HISTORY 2050 (Jacoby & Stuart, ISBN 978-3-96428-057-2, 190 S.) trägt und dessen graphische Gestaltung von Florian Toperngpong übernommen wurde. Erzählt wird, wie ein Wissenschaftler im Jahr 2020 im Archiv einer Bibliothek eine Kiste voller Notizbücher findet, die aus dem Jahr 2050 stammen und in denen von der dann 14-jährigen Billy Schmidt die Geschichte unserer nächsten Zukunft niedergeschrieben ist – unter Beigabe einer ganzen Reihe von Bildern, Zeichnungen und Beilagen. Da der Wissenschaftler den Inhalt für wichtig und brisant hält, veröffentlicht er Billys FUTURE HISTORY mit einigen erklärenden Fußnoten. Und ob die Dinge sich dann so entwickeln wie sie Billy Schmidt von ihrer Oma erklärt wurden, entscheiden wir heutigen Leser mit …

Und dann bekam ich von einer lieben Freundin noch den Hinweis, dass mit CHILDREN OF VIRTUE AND VENGEANCE – FLAMMENDE SCHATTEN (FJB, ISBN 978-3-8414-4030-3, 492 S.) endlich der Nachfolgeband zu Tomi Adeyemis CHILDEN OF BLOOD AND BONE – GOLDENER ZORN aus dem Jahr 2018 erschienen ist. In Adeyemis Geschichten dreht sich alles um den Verlust und die Rückkehr der Magie in dem fiktiven afrikanischen Land Orisha, dessen zukünftiges Wohl und Wehe von den Fähigkeiten der jungen Zauberin Zelie und dem Bestand ihrer Freundschaft mit der Prinzessin Amari abhängen. Eine im besten Wortsinne zauberhafte Jugendbuch-Reihe, deren Reiz sowohl in den exotischen Schauplätzen als auch in der einzigartigen Erzählstimme der afro-amerikanischen Autorin liegt.

So, und jetzt habe ich ein Problem. Wie „bespricht“ man ein Buch, in dem kein einziges Wort steht, ein „Bilder-Buch“ in jedem nur vorstellbaren Sinn, in dem aber eine komplexe Geschichte erzählt wird, in Bildern von einer solchen Einzigartigkeit, Eleganz und Prägnanz, dass eine „Nach-Erzählung“ nur blass und unvollkommen geraten kann? Versuchen wir es zuerst einmal damit, dass wir den Künstler nennen: Peter Van den Ende. Dann den Titel: TREIBEN LASSEN. Der Verlag: Aladin. Die ISBN: 978-3-8489-0191-3. Das Format: Ein Pappband mit 31 Zentimetern Höhe, 23,5 Zentimetern Breite und 96 unpaginierten Seiten. Und jetzt – der Inhalt: „Ein Papierboot wird an Bord eines Segelschiffs gefaltet und vorsichtig aufs Wasser gesetzt. Dann segelt das Schiff davon und lässt das Boot allein zurück. Eine lange Reise über die Meere beginnt.“ So steht das auf dem hinteren Deckel. Punkt. Nach einigen Recherchen im Internet könnte ich jetzt noch erwähnen, dass Peter Van den Ende 1985 in den Niederlanden geboren wurde und 2019 dort die Originalausgabe von ZWERFELING erschienen ist. Da TREIBEN LASSEN nur eine von mehreren internationalen Ausgaben (übersetzen kann man das ja nicht nennen) ist – z. B. THE WANDERER (USA/GB) und TRAVESIA (Spanisch) – und mit einem Werbespruch von Shaun Tan (der einem ohnehin sogleich einfällt) aufwarten kann, dürfte sich dieses Buch wohl in Kürze von einem Geheimtipp zu einem Weltbestseller entwickeln.



ZITAT

„»Wie häufig mögen im Bundesgebiet die Orte sein, wo es kein Coca=Cola gibt?« fragte er; ohne Groll, obgleich er bereits zum zweitenmal auf die Bremse treten mußte, weil das fantastische Lastauto vor uns erneut langsamer fuhr : groß wie die Wand eines 1=Familien=Fertighauses war das Reklameschild am Heck geworden, (ganz abgesehen von dem Rot!). »Nach einer Berechnung von Gauß so häufig,« antwortete ich, »wie 5 Fönixe, 10 Einhörner, oder 22 Bedeckungen des Jupiter vom Mars.« »Kommt das überhaupt jemals vor?«, erkundigte er sich. »Zum Beispiel am 5.1.1591.« entgegnete ich, geübt & kalt; und er schnob mißtrauischer. Ölbohrtürme ringsum. Frau Technik regte ihre mit Recht sogenannten Tausendgelenkezugleich.

Arno Schmidt in: „Windmühlen“ (BA I/3, S. 281)



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