TEMPORAMORES - Newsletter # 321 - 11.5.2020




KURZMELDUNGEN

Ebenso regelmäßig wie gerne erfolgt an dieser Stelle quartalsweise der Hinweis auf die jeweils aktuelle Ausgabe unseres Lieblingsmagazins phantastisch!, das mit der Nummer 78 (2/2020) einen neuen Untertitel führt: „Seit zwanzig Jahren das Magazin für Science Fiction, Fantasy & Horror“. Reicht eigentlich, aber kurz noch ein paar der Beiträge, die unbedingt lesenswert sind. Eigentlich müsste der Umschlag diesmal einen Trauerrand haben, denn so viele Nachrufe waren noch nie: Christopher Tolkien, Gahan Wilson, Rolf Bingenheimer, Alasdair Gray, Syd Mead, Mike Resnick und Gudrun Pausewang erfahren die ihnen zustehende Würdigung. Es gibt zwei tolle neue Stories von Thomas Kodnar und Markus K. Korb. Und die Zahl der „Local Heroes“ aus Würzburg, die am Heft mitarbeiten, ist auch schon wieder gestiegen …

Kurz und knapp auch der Hinweis auf einen deutschen SF-Thriller: Wer, wie ich, von Tom Hillenbrands Roman HOLOGRAMMATICA begeistert war, wird sich freuen, das mit QUBE (KiWi-TB 1723, 555 Seiten) soeben ein zweiter Roman aus dieser faszinierenden Zukunftswelt am Ende des 21. Jahrhunderts erschienen ist. Rasend spannende und originelle Lektüre von einem Autor, der sich diese Genre-Arbeiten quasi zur Erholung von seinen ewigen Bestseller-Erfolgen mit „kulinarischen Krimis“ gönnt.

Keine Ahnung, was gerade bei Heyne los ist, aber vielleicht ist es auch nur Zufall, dass in der letzten Woche gleich drei interessante Erstlingsromane von Autorinnen erschienen sind. Die 1976 in Kairo geborene Basma Abdel Aziz schreibt in DAS TOR (ISBN 978-3-453-32046-8, 280 Seiten) über das Leben in einem nahöstlichen Land, das sich anfühlt, als hätten George Orwell, Franz Kafka und Frank Herbert alle Zutaten, die ihnen für ihre eigenen Meisterwerke zu schrecklich waren, in einen Topf geworfen und kräftig umgerührt.

Bei H. G. Parrys DIE UNGLAUBLICHE FLUCHT DES URIAH HEEP (ISBN 978-3-453-32068-0) handelt es sich um eine 600 Seiten lange Liebeserklärung an das Lesen, geschrieben von einer jungen, neuen Autorin aus Wellington, Neuseeland. Das Thema der zum Leben erwachten literarischen Figur wurde ja schon öfter, u. a. von Jasper Fforde und Cornelia Funke, aufgegriffen, aber es macht einfach Spaß, den eigenen Lieblings-Helden oder -Bösewichtern in ein „Real-Life-Adventure“ zu folgen.

Ebenfalls aus Neuseeland stammt die 1985 geborene Tamsyn Muir, deren Debütroman ICH BIN GIDEON (ISBN 978-3-453-42373-2, 600 Seiten) nicht nur der Auftaktband einer Fantasy-SF-Crossover-Trilogie ist, sondern die damit auch gleich einen Crawford Award gewann und sowohl für die Nebula wie HUGO Awards 2020 nominiert wurde. Muirs Heldin Gideon ist jung, vorlaut, lesbisch und eine vorzügliche Schwertkämpferin – und ihre Geschichte zudem spannend und originell genug, um weit mehr als die jungen, vorlauten, lesbischen Leserinnen der prognostizierbaren Zielgruppe anzusprechen.

Ein chinesischer Science-Fiction-Autor, der versucht, die von ihm als rückständig empfundene chinesische Science Fiction zumindest auf das Niveau eines Arthur C. Clarke voranzubringen – so etwa mag man sich den 1963 geborenen Cixin Liu vorstellen, während er im Jahr 2000 an seinem Roman KUGELBLITZ (ISBN 978-3-453-32030-7, 540 Seiten) arbeitete. Das Ergebnis ist dann natürlich kein systemveränderndes New Wave-Experiment geworden, aber immerhin ein gut lesbarer Hard SF-Roman, der durchaus mit einem originellen Setting, tollen Ideen und einer konsequent zu Ende erzählten Geschichte punkten kann. Als Ergänzung zu Lius bisher auf Deutsch vorliegendem Erzählwerk durchaus empfehlenswert.

Es ist heute genau 50 Jahre her – da erschien die letzte LP der BEATLES und dann war Schluss! Na ja, nicht wirklich. Es gab dann doch noch ein paar andere Lieder, Platten, Bands, Künstler, Songschreiber, Performer welche die Fackel weitertrugen. Aber der Dualismus BEATLES oder ROLLING STONES war dahin, das Feld der Rockmusik wurde ein weites – und irgendwie auch freieres. Die Figurenvielfalt des SGT. PEPPERS-Covers hatte sich in die wirklich-wirkliche Welt transformiert und die Musik kam jetzt von „Acts“ wie Donovan, Elton John oder David Bowie. Diese Zeit wurde eine prägende für viele Menschen – unter ihnen Künstler wie Michael Allred und Neil Gaiman. Was uns letztlich zum Grund dieser Besprechung führt: zu BOWIE (ISBN 978-3-96658-081-6), einer 160-Seiten-Grafic-Novel-Biografie von David Bowie, gezeichnet von Michael Allred, der gemeinsam mit Steve Horton auch für den Text verantwortlich ist. Die deutsche Ausgabe bei cross cult trägt den etwas enigmatischen Untertitel „Sternenstaub, Strahlenkanonen und Tagträume“ und hat ein Vorwort von Neil Gaiman sowie im Anhang ein Nachwort von Allred und ein paar Zusatzbilder. Das Leben von David Robert Jones, bekannt als David Bowie, währte von 1947 bis 2016 – und es war mindestens so bunt und ausgefallen wie jede einzelne von Allreds hypergenialen Zeichnungen.

Über DAS SCHLOSS IN DEN STERNEN von Alex Alice muss man eigentlich keine großen Worte verlieren. Es reicht völlig, das Erscheinen von Band 4 der Reihe zu vermelden, der den Titel EIN FRANZOSE AUF DEM MARS (ISBN 978-3-95839-096-6, 80 Seiten) trägt und soeben bei Splitter erschienen ist. Wer die ersten drei Teile kennt, wird auf diese Fortsetzung gewartet haben – alle anderen gehen zurück auf LOS und fangen vorne an.



ZITATE

„Manche Dinge entwischen beim Nachdenken: das Lesen gehört dazu. Wir tun es vielfältig und sammeln einschlägige Erfahrungen, und doch fällt es schwer, das Lesen zu reflektieren. Ist es eine Ablenkung vom Alltag? Romanverschlingende Menschen bekennen sich dazu. Führt es zur Vertiefung des Wissens? Lehrende und Forschende nicken mit dem Kopf. Macht es süchtig? Auch das ist möglich. Macht es Mühe? Unter Umständen schon, denn Lesen begleitet auch das Lernen, in der Schule und außerhalb davon.“

Ulrich Johannes Schneider – „Über das Lesen als Problem“; in: DER FINGER IM BUCH (S.7)

 

„Es war mein Geburtstag, doch daran erinnerte ich mich erst, als meine Eltern am Abend die Kerzen auf dem Geburtstagskuchen anzündeten und wir uns zu dritt um die vierzehn kleinen Flammen herum setzten.“

Cixn Liu – KUGELBLITZ (S. 9)

 

„Ich habe Neil, wie er beschreibt, zum ersten Mal getroffen, bevor mein Hobby als Comiczeichner zum Beruf wurde. Das nächste Mal trafen wir uns bei den Harvey Awards, wo ich als ‚bestes neues Talent‘ und Neil für ‚alles andere‘ nominiert war. Irgendwie begannen wir uns bei dem Bankett über David Bowie und über das in unseren Augen unterschätzte Diamond-Dogs-Album zu unterhalten. Spontan rezitierten wir beide unisono das gesamte ‚Future-Legend‘-Intro. Alle um uns herum hielten uns für völlig durchgeknallt. Hört euch das Stück noch mal an, um euch vorstellen zu können, wie das geklungen haben muss, als wir bis zum Ende immer lauter wurden.“

Michael Allred – „Danksagungen“; in: BOWIE (unpaginiert)

 

Im unzähligen Jahr des Herrn – dem zehntausendsten Jahr des Unsterblichen Königs, des gnädigen Fürsten des Todes! – packte Gideon Nav ihr Schwert, ihre Schuhe und ihre Pornoheftchen zusammen und floh vom Haus des Neunten.“

Tamsyn Muir – ICH BIN GIDEON (S. 15)



Zurück

Next