TEMPORAMORES - Newsletter # 243 - 6.12.2015




KURZMELDUNGEN

Da heute Nikolaustag ist und aus den Lautsprechern die unvergänglichen Weihnachtslieder einer liebevoll zusammengestellten Adventskalender-CD erklingen, drängt es mich geradezu, die Welt mit Hinweisen auf einige ausgesprochen schöne Bände mit Comics und Cartoons zu beglücken, deren ich in den letzten Tagen habhaft werden konnte.

Beginnen wollen wir mit DER REALIST (ISBN 978-3-86425-594-6, cross cult, 190 Seiten), einem prächtigen Monumentalband mit 1-Seiten-Cartoons von Asaf Hanuka, einem 1974 in Israel geborenen Zeichner und Texter. In seinen wöchentlich erscheinenden, autobiographisch unterfütterten Zeichnungen berichtet Hanuka über das „gewöhnliche“ Leben eines Künstlers und seiner Familie in Tel Aviv und führt damit eine Tradition des sequenziellen Erzählens fort, die über DIE PEANUTS bis zu den VATER & SOHN-Geschichten E. O. Plauens reicht. Wie alle wirklich großen Künstler weiß auch Hanuka, dass er auf den Schultern noch größerer Vorbilder steht, und so verwundert es nicht, dass sein REALIST-„Alltag“ immer wieder mit bekannten Comic-Figuren und den Film- und TV-Ikonen der letzten Jahre durchsetzt ist. Und ganz zum Schluss gibt es sogar noch eine mehrseitige Science-Fiction-Geschichte!

Immer wenn ich mit so „abseitigem Zeug“ (wie dem Band von Hanuka) zur Kasse gehen will, hält mir ein lieber Freund „was richtig Gutes“ vor die Nase, das ich dann auch noch kaufen muss, damit Ruhe ist. Für gewöhnlich lese ich dann einen Comic, den ich sonst nicht mal mit der Beißzange angefasst hätte – und für gewöhnlich bin ich begeistert. So erging es mir (natürlich) auch diesmal: STARLIGHT – THE RETURN OF DUKE MCQUEEN (Image, TPB, 150 Seiten) von Mark Millar (Text) und Goran Parlov (Bilder) erzählt die Geschichte eines in die Jahre gekommenen amerikanischen Jetpiloten, der vor vielen Jahrzehnten durch einen Riss im Raum auf einen fernen Planeten gelangte und dort mithalf, einen Diktator zu stürzen und dafür als Volksheld verehrt wurde. Leider glaubte man ihm auf der Erde nach seiner Rückkehr kein Wort, sodass er mit seiner Familie in eine Kleinstadt zog um dort in Würde alt zu werden. Als aber eines Nachts ein Raumschiff vor seinem Haus landet und ein verzweifelter Junge erklärt, dass man auf Tantalus erneut seine Hilfe braucht, stürzt sich Duke McQueen nach kurzem Zögern erneut ins Abenteuer – auch wenn der alte Kampfanzug am Bauch etwas spannt! Mit viel Humor und Empathie schildert Millar diesen letzten Kampf, bei dem es nicht nur um die Rettung einer Welt geht, sondern auch um die Erfahrung, dass man für Freundschaft, Treue und Liebe niemals „zu alt“ ist.

Diese menschlich-allzu-menschlichen Themen beschäftigen auch die Aliens und Fabelwesen, die im fünften Sammelband von SAGA (ISBN 978-3-86425-698-1, cross cult, 150 Seiten) die von Fiona Staples (Zeichnungen) und Brian K. Vaughan (Text) entwickelte Story weiterführen. Wie schon in den vorhergehenden Büchern passiert jede Menge, werden Leben gerettet und Opfer gebracht, Familien auseinandergerissen und Freunde zusammengeführt, es werden Allianzen geschmiedet und Abkommen gebrochen – und darüber vergeht eine Zeitspanne, die für all die Action fast zu kurz ist. Diese Comic-Serie beweist einen langen erzählerischen Atem und bisher scheinen den Künstlern auch die Ideen noch nicht knapp zu werden. Hoffen wir also, dass wir noch lange Zeit mit ansehen können, wie das Leben mit unseren SAGA-Helden umspringt.

Wir schreiben das Jahr 2108 und es ist jetzt genau einhundert Jahre her, dass die menschliche Zivilisation sich aufgrund einer weltweiten Seuche praktisch über Nacht in Nichts aufgelöst hat. Von den über sieben Milliarden Menschen haben vermutlich nur einige Millionen überlebt und diese wenigen versuchen nun zu retten was noch zu retten ist. Sie ziehen aus gesicherten Dörfern hinaus in die Städte und suchen in den Ruinen nach brauchbaren Dingen und Informationen über die Zeit des „Vorher“. Im von Alan Moore (Text) und Gabriel Andrade (Bilder) geschaffenen Science-Fiction-Comic CROSSED + EINHUNDERT (Panini) wird diese Geschichte anhand einer Expedition geschildert, welche die Archivarin Future Taylor und ihre Gefährten durch ein verwüstetes Amerika führt, wo hinter jedem Gebüsch tödliche Gefahren lauern. In dem 150 Seiten umfassenden Softcover sind die ersten sechs Hefte dieser neuen Spin-off-Serie gesammelt, die jedoch einen abgeschlossenen Erzählbogen besitzen, sodass weder Vorkenntnisse zu der originalen CROSSED-Serie erforderlich sind, noch muss man unbedingt weiterlesen – obwohl einem diese zukünftige Future Taylor sehr schnell ans Leser-Herz wächst (und das nicht nur wegen ihrer Vorliebe für alte SF-Bücher).



ZITAT

„Eigentlich hatte ich immer schon meine Probleme mit Genre, und ich gelange mehr und mehr zu dem Schluss, dass Genre noch nie mehr war als eine Bequemlichkeit, wahrscheinlich erfunden von irgendeinem Verkäufer einer Buchhandlung im 19. Jahrhundert. Tatsächlich ist es doch so, dass, wenn du eine erfolgreiche Horrorgeschichte schreiben willst, da auch alle möglichen anderen Elemente drin sein sollten. Es sollten romantische Elemente drin sein. Es sollten humoristische Elemente drin sein. … Ich glaube, dass CROSSED tatsächlich eine Science-Fiction-Geschichte ist, die über einen sehr, sehr hohen Horrorquotienten verfügt. … Und daraus habe ich dann extrapoliert, was eine der Freuden der Science Fiction ist – du nimmst dir eine existierende Situation und extrapolierst daraus in deiner Fantasie.“

Alan MooreCROSSED + EINHUNDERT (Vorwort)



Zurück

Next