TEMPORAMORES - Newsletter # 223 - 28.9.2014




KURZMELDUNGEN

Hieß es früher noch, wer kein Griechisch könne, der könne gar nichts, so trifft dies in unserer unheiligen Zeit ganz selbstverständlich auf das Englische zu. Jedenfalls wenn man einen der großartigsten und eindrucksvollsten Katzen-Comics der letzten Jahre lesen will. Autor Paul Tobin und Zeichner Benjamin Dewey erzählen in der Graphic Novel I WAS THE CAT (Oni Press, ISBN 978-1-62010-139-1) auf 190 Seiten die Lebensgeschichte von Burma, der einzigen Katze, die nicht nur neun Leben besitzt, sondern auch noch sprechen kann. Außerdem hat Burma ein etwas „delikates“ Hobby: er versucht seit mehr als 3000 Jahren „to take over the World“ – die Weltherrschaft an sich zu reißen. Nach acht vergeblichen Versuchen (und ebenso vielen Reinkarnationen) steht er nun, am Ende seines neunten Lebens, kurz vor dem Erreichen seines Ziels. Ob er es diesmal schafft, und wie er soweit gekommen ist, kann man in dem soeben erschienen Hardcover nachlesen und betrachten. Text und Bilder bereiten höchstes Vergnügen!

„Wo ist nur die Zukunft Hin?“ – Mit dieser Frage eröffnete Bundespräsident Joachim Gauck den diesjährigen Historikertag in Göttingen. Wie ein Menetekel schwebt sie jedoch zugleich über der Gegenwarts-Science-Fiction. Wer sich dazu hinreißen lässt, den aktuellen Roman DER CIRCLE (Kiepenheuer & Wirsch, ISBN 978-3-462-04675-5, 560 Seiten) von Dave Eggers zu lesen, wird ganz aktuell mit ihr konfrontiert. Der rasante Aufstieg, den die junge Datenanalystin Mae im nach der Weltherrschaft strebenden (hat denn keiner mehr andere „Hobbies“?) Internet-Konzern „Der Circle“ erlebt, wurde vom Autor in einem Near-Future-Setting angelegt, wobei Ähnlichkeiten mit tatsächlich existierenden Quasi-Monopolisten keinesfalls zufällig sind. Allerdings kommt diese Zukunft unserer Gegenwart mit jeder Woche, die vergeht, näher. Deshalb also: Das Buch am besten gleich lesen, bevor DER CIRCLE zum „historischen Roman“ geworden ist.

Zeit lassen darf man sich dafür mit Thomas Pynchons aktuellem Roman BLEEDING EDGE (das ist tatsächlich der „deutsche“ Titel! – und mir hat sich bei DER CIRCLE schon fast der Magen umgedreht, o tempora o mores!!), den Rowohlt in diesem Herbst in der exzellenten Übersetzung von Dirk van Gunsteren vorlegt. Vollkommen unaufgeregt erzählt Pynchon von einer Familie, die sich im Frühsommer 2001 in New York nach diversen Problemen erst wieder finden muss. Erstaunlich ist dabei, dass der Autor mit zunehmendem Alter immer humorvoller und ironischer wird. Andererseits, wenn man Arno Schmidts Hypothese der „4. Instanz“ kennt, muss es vielleicht genau so sein. So ist BLEEDING EDGE (ISBN 978-3-498-05315-4, 600 Seiten) gleichzeitig auch ein wundervoller Großstadtroman mit dem Big Apple in der Hauptrolle – und jener für Pynchon typischen kleinteiligen Verschiebung in Richtung Parallelwelt.



ZITAT

„Let’s talk about the first time I ever tried to take over the world.“

Burma, the Cat, in: I WAS THE CAT; S. 34

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