Mit gehörigem Understatement nennt der kanadische Comic-Künstler Seth seine biografische Erzählung
WIMBLEDON GREEN „eine Geschichte aus dem Skizzenbuch des Zeichners“. Dabei
gehört diese psychologisch raffinierte Studie des „größten Comicsammlers der
Welt“ zu den lustigsten und gleichzeitig anregendsten
Lektüren der letzten Monate. Selbst ein aktiver Sammler von Comics und
Schallplatten, weiß Seth Bescheid über die sensible, fragile und oftmals etwas
abartige Psyche des „echten“ Sammlers. Mit Wimbledon Green hat er den
Prototypen geschaffen, dessen Lebenslauf von seiner Leidenschaft geprägt ist:
Erste Comics aus dem Süßwarenladen, dann Flohmärkte, Sammlerbörsen, An- und
Verkauf – und endlich das „große Ding“. Mit der legendären „Sammlung Wilbur R.
Webb“ schafft Wimbledon Green den Aufstieg zum Sammlergipfel. Natürlich hat er
Konkurrenten und Neider, viele Freunde unter den Händlern und sogar echte
Feinde unter den elitären Mitgliedern des „Coverloose
Club“ – Seth lässt nichts aus, er kennt alle Fallstricke, die das Leben für
einen Sammler bereithält. Die Zeichnungen sind mit schnellem Strich
„hingeworfen“, trotzdem ist jeder Charakter „getroffen“, jedes Detail sauber
herausgearbeitet. Man erkennt den Könner auf den ersten Blick. Das
kleinformatige Hardcover ist im Wuppertaler Verlag „Edition 52“ erschienen und
gehört – natürlich! – in jede gute Sammlung.
In diesem Jahr kann Ursula K. Le Guin ihren achtzigsten Geburtstag begehen, doch von
Ruhe oder gar Rückzug keine Spur. Nachdem sie im letzten Jahr mit LAVINIA einen
postmodernen Historischen Roman veröffentlichte, gewann sie soeben mit POWERS
(dem dritten Band ihrer „Annals of the Western Shore“-Reihe) den NEBULA-Award der SFWA für den besten Roman – und brachte
gleichzeitig im Verlag Aqueduct Press eine neue
Sammlung von Reden und Essays heraus, die den Titel CHEEK BY JOWL trägt. Die
acht Texte behandeln überwiegend die Gründe für das Vorhandensein und die
Notwendigkeit von Fantasy-Erzählungen, vor allem,
aber eben nicht nur, in der Kinder- und Jugendliteratur. In einer furiosen
Abrechnung („The Critics,
the Monsters, and the Fantasists“) liest die
Autorin den Herrschaften von der akademischen Literaturkritik ordentlich die
Leviten. Und im titelgebenden Essay beschäftigt sie
sich mit den diversen Formen der Tiergeschichte in der Kinderliteratur – ein
Meisterstück, kenntnisreich und engagiert geschrieben, voller Hingabe und
Herzblut und trotzdem kritisch und ausgewogen. Wer mehr über dieses Buch und
die aktuellen Projekte der rührigen Künstlerin wissen möchte, kann auf ihrer
sehr gut präsentierten und aktuell gehaltenen Homepage
www.ursulakleguin.com nachsehen.
„Warum
nur diese Hingabe an das Material? Wahrscheinlich hätte ich mit diesem Aufwand
besser etwas tiefer Schürfendes mitteilen können: etwa einen Comic über meine
alltägliche trübe Existenz im Kelleratelier. Denn das ist mein wirkliches Leben
und nicht Autogyros und ergebene Assistenten.“
Seth – WIMBLEDON GREEN; Einleitung