TEMPORAMORES - Newsletter # 414 - 5.11.2025




KURZMELDUNGEN

Der November begann mit der Feiertagslektüre der neuen NOVA. Die Ausgabe 37 (p.machinery, ISBN 978-3-95765-479-3, kartoniert) des „Magazins für spekulative Literatur“ stellt mit unfass­baren 444 Seiten einen neuen Rekord auf. Die umfangreichste NOVA ever hat nicht nur ein tolles Umschlagbild von Omar Sahel, sondern auch wieder Farbbilder vor jeder Geschichte (u. a. von Gabriele Behrend, Uli Bendick, Mario Franke, Frank G. Gerigk, Detlef Klewer, Achim Stößer und Maximilian Wust). Den außergewöhnlichen Umfang erklärt die Story-Redakteurin Marianne Labisch damit, dass auf die Ausschreibung zum Thema „Intelligenz“ (aber abseits von KI) so viele hochklassige Geschichten eingingen wie nie zuvor. Mit 29 Stories stellt das „Line-up“ eine unmögliche Herausforderung dar, weshalb an dieser Stelle völlig subjektiv nur Christian Endres, Wolf Welling und Jörg Weigand genannt werden. Natürlich gibt es auch noch die von Dominik Irtenkauf betreute (und überwiegend mit Interviews gefüllte) Sekundär-Abteilung, in der u. a. Thomas Ballhausen den Künstler Moebius „im Zeichen Künstlerischer Intelligenz“ (also etwas anderen KI-Gesichtspunkten) neu liest. Ich fand es eine natürliche (und intelligente) Entscheidung, dieses Magazin zu lesen.


Es ist unfassbar, aber Thomas Pynchon lebt nicht nur immer noch, nein, er schreibt auch immer noch neue Bücher. SCHATTENNUMMER (Rowohlt, ISBN 978-3-498-00822-2, 400 S., Hardcover) heißt sein neuestes, es spielt in Amerika, in Ungarn und in einigen Parallelwelten, in denen z.B. Österreich-ungarische U-Boote damit beschäftigt sind, die Armen und Verfolgten dieser Welt zu retten und in ein sicheres Exil zu bringen oder eine riesige Frauenstatue mitten in den USA steht und den Flugverkehr behindert. Pynchon lässt seiner Liebe zur Schundliteratur wieder einmal freien Lauf, imitiert Stimmen und Stile seiner schreibenden Vorgänger und hat ganz offenbar sehr viel Spaß dabei seinen Protagonisten Hicks McTaggart von einem Schlamassel in den nächsten zu schicken. Den Nobelpreis wird er dafür sicher auch wieder nicht bekommen – aber sein Versuch, diese Sache durch Aussitzen zu entscheiden ist bewundernswert. Spätestens 2037, zu Pynchons hundertstem Geburtstag, müssen sie in Stockholm umdenken!


ZITAT

„«Das spielt keine Rolle. Für den ist das Boot unsichtbar, genau wie für die Wiener Polizeidirektion, die beide mit ihrer tapsigen Verfolgung von Mr. Airmont nicht gerade allein sind – es gibt da eine ziemlich lange Liste, angeführt vom Internationalen Käsesyndikat, das uns zufällig gerade im Nacken sitzt.» Dabei geht es nicht nur um die happige Summe Syndikatsgeld, die Bruno veruntreut hat, sondern auch um alles, was er über das Innenleben des InKäSyn weiß. «Die heimlichen Herrscher des Käses sind verständlicher­weise sehr darauf bedacht, dass das vertraulich bleibt, und dies auch – sogar – um den Preis von Mr. Airmonts Leben. Wir arbeiten im Allgemeinen eher im Bereich Suche und Rettung und haben uns zum Ziel gesetzt, Mr. Airmont wohlbehalten an einen Ort zu bringen, wo er Schaden weder anrichten noch erleiden kann. Sie können uns als eingekapselte Sphäre präfaschistischer Raumzeit betrachten, immerzu in Bewegung, ein Stück Fiume, wie es einmal war, dem die Zeit nichts anhaben kann und das all die Jahre im tiefen Refugium des Meeres überlebt hat …»“

Thomas Pynchon – SCHATTENNUMMER (S. 377)



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