Diesmal starten wir mit
Comics, denn in den letzten Tagen trudelte allerhand Einschlägiges ein, das
gelesen und einsortiert werden will. Da wäre zum Beispiel die „Comics
Biography“ WILL EISNER (NBM, ISBN 978-1-68112-357-8, 300 S., Hardcover) von Stephen Winer und Dan Mazur. Das Leben des großen Comic-Künstlers Will Eisner (1917–2005) als „graphic
novel“ erzählt – mit Liebe und dem nötigen Abstand. Etwas für die Nostalgiker
unter uns.
Auch weil Robert Crumb noch lebt, verbietet sich allzu viel Ehrerbietung und
Ergriffenheit. Trotzdem ist es schön, dass Dan
Nadel mit CRUMB – A CARTOONIST’S LIFE (Scribner, ISBN 978-1-9821-4400-5,
460 S. Hardcover) eine umfangreiche Biografie und Werkschau zum „Godfather“ der
Underground-Comix geschrieben hat. Als Crumb 1943 zur Welt kam, hatte Eisner
schon einen ersten Meilenstein in seinem Gesamtwerk gesetzt, und seit ich auf
diesem Planeten wandle, zeichnet Crumb seine Comics – was zwar alles nur Zufall
ist, aber in diesem Rahmen doch einmal erwähnt werden sollte.
Felix Görmann, der als Flix seit gut einem Vierteljahrhundert
die deutsche Comic-Szene bereichert, wurde hingegen erst 1976 geboren, und haut
nun einen „Klassiker“ nach dem anderen raus. Zuletzt erschienen: SUPERMAN: THE
WORLD (Panini, diverse Ausgaben, ca. 200 S.), genauer gesagt, die 10 Seiten
lange Geschichte „SUPERMAN – Man of K-Rupp-Stahl“, mit der er als deutscher
Beitrag in der obigen Anthologie vertreten ist. Meine Empfehlung geht natürlich
in Richtung auf die limitierte und signierte Premium-Edition, aber den
Lektüre-Spaß haben sicherlich auch die Käufer der „normalen“ HC- oder SC-Ausgaben.
Leser*innen der phantastisch! haben in den letzten
Ausgaben bereits mehrfach Stories von Roland
Grohs lesen dürfen. Allesamt ein Genuss. Der junge Österreicher kann nicht
nur hervorragend Judo, sondern gehört zu den spannendsten neuen Stimmen im Bereich
der phantastischen Literatur. Im Verlag Brot und Spiele ist jetzt unter dem
Titel WELTAUSFALL (ISBN 978-3-903406-37-7, 163 S.) eine ganze Sammlung mit
„endzeitlichen Geschichten“ erschienen. Neun Mal nimmt uns Grohs mit in seine
Gedankenpaläste und lässt uns jedes Mal staunend zurück vor den Scherbenhaufen,
die seine Protagonisten innerhalb weniger Seiten zu produzieren imstande sind. Ein
großes Vergnügen, gezogen aus einem kleinen Büchlein.
Ach, wenn wir schon von
Kurzgeschichten und ihren Verfassern reden: Unser lieber Freund und Kollege Christian Endres hat mal wieder ein
Bravourstück veröffentlicht. Im Heft 18/2025 des Computermagazins c’t (Heise Verlag) erschien soeben
„Smarte Tränen“, eine empathische und fesselnde Erzählung über die komplizierten
und komplexen Gefühle, die die Besitzer von künstlicher und natürlicher
Intelligenz füreinander empfinden können. Wer kann, sollte sich das Heft
besorgen, auch wegen der eindrucksvollen Illustration, ansonsten gibt es sicher
eine Online-Version. Mein heißer Anwärter für den nächsten Kurd-Laßwitz-Preis!
Mitten aus Englands grünem
Herzen stammt die inzwischen in Australien lebende Autorin Molly O’Neill, deren Debütroman GREENTEETH soeben in der stimmigen
Übersetzung von Judith C. Vogt bei
Piper unter dem „deutschen“ Titel WATERWITCH (ISBN 978-3-492-70677-3, 382
Seiten, Hardcover) erschienen ist. Die magische Geschichte spielt irgendwo in
England und irgendwann zwischen Mittelalter und Neuzeit an einem Schnittpunkt
der Realitäten: ein englisches Dorf, eine von sagenhaften Wesen bewohnte Natur
und das Feenreich bilden den Hintergrund einer spannenden Erzählung um
Freundschaft, Liebe und den Verlockungen der Macht. Beim Versuch, sich eine
neue Basis für sein schändliches Wirken zu schaffen, stößt der als Pfarrer
verkleidete Oberschurke auf den erbitterten Widerstand einer Hexe, einer Teich-Jenny,
eines Kobolds und noch ein paar solch bemerkenswerter Wesen. Und ganz am Ende
spielt dann auch noch ein altes Schwert eine besondere Rolle … Ein
Lektüre-Highlight für jedes Alter.
Es dürfte allgemein bekannt
sein, dass ich auf völlig abseitige, verrückte, komplizierte und/oder sonst
irgendwie merkwürdige Bücher voll abfahre. Deshalb dürfte es auch niemanden
verwundern, wenn ich an dieser Stelle das neue Buch von Percival Everett empfehle, das im Original den anspielungsreichen
und hochkomplexen Titel „Dr. No. A Novel“ trägt – der dann in der deutschen
Übersetzung von Nikolaus Stingl im
Hanser Verlag zu „DR NO Roman“ degeneriert ist. Was aber wohl nicht dem
Übersetzer, sondern eher dem hier ungenannt bleiben sollenden Designer
anzulasten ist. Da es in Everetts Buch um „nichts“ geht, erübrigt sich auch
eine Inhaltsangabe. Wer jetzt immer noch Zweifel hegt, ob DR NO (ISBN
978-3-446-28417-3, 320 S., Hardcover) ein Buch ist, das unbedingt gelesen
werden sollte, der möge sich in die Tiefen der ARD-Mediathek begeben und dort
nach Denis Scheck und DRUCKFRISCH
und Percival Everett suchen – selten hat ein Autor überzeugender „nichts“ zu
seinem Buch gesagt!
Ein „Klassiker“ fast schon zu
Lebzeiten, hat der viel zu früh verstorbene Thomas Ziegler (1956–2004) ein immer noch recht lebendiges „Erbe“
hinterlassen, dessen Pflege sich Freunde und Fans mit viel Respekt und Hingabe
widmen. Zuletzt erschienen: DIE SENSITIVEN JAHRE (p.machinery, ISBN
978-3-95765-463-2, 376 S. Kart.; Cutting Edge 5), eine Sammlung „ausgewählter
Erzählungen“ aus den Jahren 1978 bis 1990. Zusammengestellt wurde der Band von Michael K. Iwoleit, Zieglers alter
Kampfgenosse Ronald M. Hahn steuerte
ein erinnerungsreiches Nachwort bei. Das großformatige „Best
of“-Ziegler-Kompendium enthält elf seiner hervorragendsten (und „gründlich
überarbeiteten“) Kurztexte, darunter das legendäre „Eine Kleinigkeit für uns
Reinkarnauten“ und die mit dem Kurd Laßwitz Preis ausgezeichnete 1983er Novellen-Urfassung
seines vielgelobten und mehrfach überarbeiteten Romans DIE STIMMEN DER NACHT
(1984, 1993, 2014), für den er 1994 ebenfalls den KLP bekam. Nur wenigen
Autoren ist es vergönnt, gleichermaßen gute Texte sowohl in der Kurz- wie in der
Langform schreiben zu können (von der Begabung für Drehbücher und Serien-Exposés
ganz zu schweigen), weshalb jedes Ziegler-Buch ein Gewinn ist. Wenn es dann so
aufwändig betreut daherkommt, lautet die Devise: zugreifen!
Nachdem die Zahl von
Original-Anthologien mit herausragenden internationalen
Science-Fiction-Geschichten bei uns inzwischen gegen Null geht, freut es mich
umso mehr auf die von Yvonne Tunnat
und Chris Witt zusammengestellte
Sammlung IHR KÖRPER, DAS SCHIFF (A7L Books, ISBN 978-3-69028457-8, 310 S.,
Klappenbroschur) hinweisen zu können. Wie die Herausgeberinnen in ihrem
Nachwort betonen, haben sie sich viel Zeit genommen, jede Menge Geschichten
verworfen, den Rahm abgeschöpft und sich für 15 Stories entschieden, die in
englischsprachigen Magazinen und Anthologien der letzten Jahre veröffentlicht
wurden und dann z. B. den HUGO Award gewannen. Aufgrund der fehlenden
Übersetzungen sind viele der Autor*innen hierzulande unbekannt, obwohl sie (wie
z. B. Naomi Kritzer, Mahmud El Sayed oder Frank Ward) in ihrer Heimat bereits zum
festen Bestand der „Next-SF-Generation“ gehören. Damit unsere deutschen
Schriftsteller*innen nicht gänzlich den Anschluss ans Weltniveau verlieren,
wäre es schön, wenn wieder mehr internationale SF zu uns käme. Bis dahin bleibt
nur, jede neue Anthologie zu kaufen (um die Verleger zu überzeugen), zu lesen
(um Spaß zu haben) und zu feiern (hiermit geschehen).
„Aus dem anderen
Zimmer kam das Har-har-har. »Traue niemals jemand mit einem Lachen, das man buchstabieren
kann«, sagte der alte Mann.“
Percival
Everett – DR NO (S. 253)