Der November begann mit der Feiertagslektüre der neuen NOVA. Die
Ausgabe 37 (p.machinery, ISBN
978-3-95765-479-3, kartoniert) des „Magazins für spekulative Literatur“ stellt mit
unfassbaren 444 Seiten einen neuen Rekord auf. Die umfangreichste NOVA ever
hat nicht nur ein tolles Umschlagbild von Omar
Sahel, sondern auch wieder Farbbilder vor jeder Geschichte (u. a. von Gabriele
Behrend, Uli Bendick, Mario Franke, Frank G. Gerigk, Detlef Klewer, Achim
Stößer und Maximilian Wust). Den außergewöhnlichen Umfang erklärt die
Story-Redakteurin Marianne Labisch
damit, dass auf die Ausschreibung zum Thema „Intelligenz“ (aber abseits von KI)
so viele hochklassige Geschichten eingingen wie nie zuvor. Mit 29 Stories
stellt das „Line-up“ eine unmögliche Herausforderung dar, weshalb an dieser
Stelle völlig subjektiv nur Christian
Endres, Wolf Welling und Jörg
Weigand genannt werden. Natürlich gibt es auch noch die von Dominik Irtenkauf betreute (und
überwiegend mit Interviews gefüllte) Sekundär-Abteilung, in der u. a. Thomas Ballhausen den Künstler Moebius „im Zeichen Künstlerischer
Intelligenz“ (also etwas anderen KI-Gesichtspunkten) neu liest. Ich fand es
eine natürliche (und intelligente) Entscheidung, dieses Magazin zu lesen.
Es
ist unfassbar, aber Thomas Pynchon
lebt nicht nur immer noch, nein, er schreibt auch immer noch neue Bücher.
SCHATTENNUMMER (Rowohlt, ISBN 978-3-498-00822-2, 400 S., Hardcover) heißt sein
neuestes, es spielt in Amerika, in Ungarn und in einigen Parallelwelten, in
denen z.B. Österreich-ungarische U-Boote damit beschäftigt sind, die Armen und
Verfolgten dieser Welt zu retten und in ein sicheres Exil zu bringen oder eine
riesige Frauenstatue mitten in den USA steht und den Flugverkehr behindert.
Pynchon lässt seiner Liebe zur Schundliteratur wieder einmal freien Lauf,
imitiert Stimmen und Stile seiner schreibenden Vorgänger und hat ganz offenbar
sehr viel Spaß dabei seinen Protagonisten Hicks McTaggart von einem Schlamassel
in den nächsten zu schicken. Den Nobelpreis wird er dafür sicher auch wieder
nicht bekommen – aber sein Versuch, diese Sache durch Aussitzen zu entscheiden ist
bewundernswert. Spätestens 2037, zu Pynchons hundertstem Geburtstag, müssen sie
in Stockholm umdenken!
„«Das spielt
keine Rolle. Für den ist das Boot unsichtbar, genau wie für die Wiener
Polizeidirektion, die beide mit ihrer tapsigen Verfolgung von Mr. Airmont nicht
gerade allein sind – es gibt da eine ziemlich lange Liste, angeführt vom
Internationalen Käsesyndikat, das uns zufällig gerade im Nacken sitzt.» Dabei
geht es nicht nur um die happige Summe Syndikatsgeld, die Bruno veruntreut hat,
sondern auch um alles, was er über das Innenleben des InKäSyn weiß. «Die
heimlichen Herrscher des Käses sind verständlicherweise sehr darauf bedacht,
dass das vertraulich bleibt, und dies auch – sogar – um den Preis von Mr.
Airmonts Leben. Wir arbeiten im Allgemeinen eher im Bereich Suche und Rettung
und haben uns zum Ziel gesetzt, Mr. Airmont wohlbehalten an einen Ort zu
bringen, wo er Schaden weder anrichten noch erleiden kann. Sie können uns als
eingekapselte Sphäre präfaschistischer Raumzeit betrachten, immerzu in
Bewegung, ein Stück Fiume, wie es einmal war, dem die Zeit nichts anhaben kann
und das all die Jahre im tiefen Refugium des Meeres überlebt hat …»“
Thomas
Pynchon – SCHATTENNUMMER (S. 377)